Im Zentrum der Installation Leerstand von Kristof Georgen steht eine nicht mehr benutzte Küche und deren akustische Ausstrahlung von verbliebenen Maschinengeräuschen, von Töpfen, Tellern und Gläsern. In der mehrkanaligen Geräusch-Klang-Komposition aus akustischen Fundstücken – in deren Verlauf der Schlag auf einen großen leeren Kochtopf wie ein balinesischer Gong klingen kann – wird der Klang über Lautsprecher, die zum Teil sichtbar, teilweise geschickt verborgen sind, in den Raum eingebracht. Die nicht mehr gebrauchten Instrumente des Kochens bilden ein ideales Feld fremder Geräusche, die als intimer Vorgang des Geheimnisvollen, als phantomhafte akustische Spuren aufgezeichnet wurden. Die Geräusche durchbrechen die lastende Stille des nicht mehr benutzten, leer stehenden Raums und dringen in diesen ein, als seien sie losgelöst von ihren körperlichen Trägern, die diese Klänge einstmals im Raum ausgelöst haben.
Die geisterhaft immaterielle akustische Spurensuche findet ihre Entsprechung in den optischen Elementen der Installation. Aus dem grauen Bildflimmern eines Monitors tauchen blitzartig Momente einer mit der Handkamera aufgezeichneten Suchbewegung durch die Küche auf. Die Bewegung bildet eine optische Spur, deren körperliche Referenten der Besucher nicht zu Gesicht bekommt. Teller – behandelt mit kriminaltechnischem Fingerabdruckpulver – bleiben wie vergessene Elemente der Spurensuche in der Küche zurück. Aus dem Backofen dringt Wasserdampf, der nur noch Spur, aber nicht eigentliche Essenz des einstigen Kochens ist. Wenngleich die genannten Bestandteile aufeinander abgestimmt sind und die Begehung des Raums zu einem eindrücklichen Erlebnis aus Installation und eingespielter Komposition wird, verzichtet Kristof Georgen auf Narration und setzt auf die visuell-akustische »Stimmung« – die doppeldeutig diejenige der Emotion und die des Klangkörpers meint.
Nicht von ungefähr erweckt diese Vorgehensweise Erinnerungen an ein Meisterwerk des klassischen Horrorkinos. In Robert Wises The Haunting / Bis das Blut gefriert aus dem Jahr 1963 wird von einem von Gespenstern besessenen Haus erzählt. Im Gegensatz zum späten Hollywood-Kino mit seinen hochgefahrenen visuellen Spezialeffekten erzeugt Robert Wise eine Stimmung des Unheimlichen durch die Trennung von Geräusch und optischer Repräsentanz. Auch in Leerstand von Kristof Georgen wurden die fremden Geräusche und Töne nicht mehr ihrer Erzeugungsquelle zugeordnet und bleiben »unheimlich« – im Sinne des Freud’schen Begriffs des »Unheimlichen«, der den Schrecken als die Idee des nicht Verortbaren und nicht Zugehörigen definiert. Die dokumentierten Küchengeräusche sind in diesem Zusammenhang betrachtet Elemente, die zurückdringen, ohne dass dieser Vorgang als Handlungsakt erkennbar wäre. Ursprünglich Zusammengehöriges kommt auf akustischer Ebene als das Fremde in den Raum zurück und dringt somit – auch im Sinne des Skulpturalen – aus dem Außen in das Innen vor.
Die Technik der loopgesteuerten Zuspielung der Klänge setzt die akustischen Ereignisse in den Zustand eines wiederholten Kontinuums und formt damit einen groß angelegten Refrain. Diese Vorstellung greift Kristof Georgen im Jahre 2008 in seiner Klanginstallation refrain I (Bühne) für den Friedrichsbau in Bühl wieder auf. Die Installation setzt sich einerseits im Sinne des musikalischen Begriffs »Refrain« mit dem dialogischen Prinzip auseinander, das uns andererseits im Alltag über Fußballchöre aus dem Stadion, dem enthusiastischen Mitsingen bei Pop- und Rockkonzerten und dem Applaus im kulturellen und politischen Kontext begegnet. Der Zuhörer oder Zuschauer beteiligt sich über das Mitsingen und Applaudieren am kollektiv erlebten Ereignis als akustischer Akteur, Mitgestalter und Lenker, der im Sinne des Refrains reagiert und wiederholt. Als ein wesentliches Beziehungsphänomen der Moderne artikuliert sich hierin das Verhältnis von Masse und Individuum.
So begegnen wir auf der einen Seite dem Individuum als Akteur der Politischen oder kulturellen Bühne und Repräsentation und auf der anderen Seite dessen Konfrontation mit der anonymen Masse. Der Dialog zwischen Bühne und Zuschauerraum findet über das Ritual der Anfeuerung und Zustimmung statt, die in Form des Applauses oder der Abstimmung von unten nach oben dringt. In beiden Fällen ist es Handarbeit: hier das überzeugende Gestikulieren als Performance, dargestellt im Videomaterial von refrain I (Bühne), dort das Klatschen als Abstimmung im akustischen Kontext, eingespielt über die äußeren Lautsprecher der Installation. Die in diesem Sinne zusammengestellten und komponierten visuellen und akustischen Elemente verdeutlichen die Vorgehensweise Kristof Georgens, der seine Materialien nicht nur im, sondern für den Raum und dessen Kontext zusammenstellt. Die Multifunktionalität des Ausstellungsraums (Friedrichsbau Bühl) als Konzertraum, Versammlungsstätte des Gemeinderats oder als Aufführungsort der Volkskultur führt uns auch hier direkt zum Thema des Refrains als Dialogform von Individuum und Masse und wurde zum Auslöser für die Realisierung der Arbeit. Die im Außenraum aufgezeichneten Klänge (Stadion, Konzert) verbinden über die Wiedergabe im geschlossenen Ausstellungsraum das Außen mit dem Innen. So wirkt der Friedrichsbau als Ort des öffentlichen Diskurses auf das Außen des kommunalen Raums, wie es nicht weniger für die lauthals wahrnehmbaren akustischen Phänomene kollektiver Ereignisse von Rockkonzerten und Fußballspielen gilt.