[...] So verwendet Kristof Georgen auch in Distanzen vorgefundene Klänge des Aufführungsortes als Ausgangspunkt einer akustischen Komposition, die durch Kombinationen, Überlagerungen, Schichtungen, Überblendungen und Loop-Verfahren innerhalb eines zeitlichen Rahmens festgelegt wird. Wie in einer musikalischen Komposition als zeitlichem Ereignis, komponiert auch er mit einer rhythmisch-metrischen Struktur, die einerseits akustisches Material des überhörten Alltags ist, andererseits ein existentielles, zeitgenössisches Muster einer spezifischen Raumerfahrung darstellt.
Es handelt sich um Klänge, die beim Laufen erzeugt werden - einer akustischen Struktur, die eine Außen- und eine Innenseite besitzt. Zur Außenseite gehört das rhythmisierte Auftreten beim Laufen, zum Innen jene Atemgeräusche, die als körperlicher Vorgang den physikalischen Vorgang der Bewegung im Raum bestimmen. Zu diesem rhythmischen Grundmuster, einer Art meditativer Bewegungsablauf, den jeder passionierte Läufer am eigenen Körperbefinden erfahren kann, tritt nun der Außenraum hinzu, den dieser Rhythmuskörper sich erläuft: wir hören Kirchenglocken, Vögel, schlagende Türen und andere Klangelemente, die im Außenraum von Bad Waldsee dokumentiert wurden. Der kompositorische Ablauf akzentuiert die Differenz zwischen der musique concrète eines akustischen Alltags, dem hörbar gemachten Tagebuch eines Läufers und jenem artifiziellen Vorgang des Komponierens, der hier stattgefunden hat und verschränkt das Künstliche mit dem Öffentlichen. Es handelt sich um einen akustischen Vorgang, der den Hörer von jener Alltagserfahrung des Laufens zum künstlerischen Ereignis führt. Es ist die Erfahrung einer spezifischen, spätmodernen Körperkultur, die in der Installation zur Aufführung gelangt. [...]
aus: Bernd Künzig, Werkeinführung Distanzen, 2007