Statements zu Nr.26:
1. Die Arbeit widmet sich der Lautsphäre der häuslichen Alltagswelt. Kompositionselemente sind Schnitt (cut) und Wiederholung (loop).
2. Der Titel des Werks ist "Nr. 26". Nummer 26 ist die Hausnummer des Hauses, indem die Aufzeichnungen über mehrere Tage dokumentiert wurden.
3. "Nr. 26" konstituiert Raum. Dies geschieht über einen sehr geringen Geräuschpegel und ein feingliedriges Klang- und Lautfeld von eigenen Körpergeräuschen und den Dingen, die durch den Körper bewegt werden.
4. In der mehrkanaligen Audioinstallation tritt auch das Rauschen als Wirklichkeit von Stille in den Vordergrund. Die genannten Sequenzen werden durchbrochen durch gegenständliche, bunte Geräusche.
5. Entgegen einem extrovertierten „Außen“ bildet der private Raum einen "geschützten" Raum. Alltägliche Handlungen bilden sich wiederholdende Formen.
(Kristof Georgen)
Ähnlich wie ein Gemälde oder Foto kann auch ein Geräusch einen Ort repräsentieren. „Doch während Bilder Ränder haben und der Betrachter ihnen als begrenztem Objekt gegenübersteht, teilt der Klang mit dem Hörer den Raum, umgibt ihn und erreicht so eine eindringlichere Illusion“.¹ Bei Kristof Georgen wird der Betrachter zum `Belauscher´ der Alltagswelt im Wohnhaus Nr. 26. In acht unterschiedlich langen Sequenzen bildet der Künstler einen Ausschnitt aus seiner heimischen Lautsphäre ab. Dabei wählt er eher Beiläufiges, das sich in sehr niedriger Lautstärke als fein gewebtes Klangnetz ausbreitet. Alle Geräusche stammen aus dem akustischen Nahbereich: Körpergeräusche oder durch den Menschen bewegte Gegenstände. Der geringe Geräuschpegel von Zeitungsumblättern, Brotschmieren oder Atmen schärft die Konzentration und weckt die Neugierde des Zuhörers. Was verursacht das Geräusch, was macht die Person? Der ausgebildete Bildhauer behandelt sein „lauthaftes Material“ ² wie jeden anderen skulpturalen Rohstoff. Aus dem mehrere Tage umfassenden Aufzeichnungsblock schält er Mikrostrukturen heraus, die er zu einem akustischen Bildwerk von wenigen Minuten neu zusammenfügt. Indem er anschließend in die Geräusche der gelegentlich hörbaren Nachbarn (gedämpftes Wasserrauschen, Fernseher, Stimmen, usw.) einbettet, kreiert er eine spezifische, von der Außenwelt unterscheidbare akustische Sphäre häuslicher Gemeinschaft. Um die Authentizität seines Werkstoffes nicht zu gefährden, dienen ihm dabei ausschließlich Schnitt und Wiederholung als Bearbeitungswerkzeuge. Die Endloswiederholung vermittelt den Eindruck von Kontinuität, der für unsere Vorstellung von Zuhause konstituierend ist, und gibt dem aufgezeichneten Alltag eine ritualisierende Form, welche unser Verhalten im Privaten oft kennzeichnet. Da sich Kristof Georgen nur realer unverfremdeter Klangquellen bedient, erzielt er ein Höchstmaß an Wiedererkennbarkeit, die den Zuhörern die assoziative Visualisierung seiner Wohnung ermöglicht. Jede eingespielte Geräuschaufzeichnung erzeugt einen imaginären akustischen Raum – hier die Abbildung der Wohnung des Künstlers, im realen akustischen Raum des Hörers – hier dem Museum. In dem Moment jedoch, wo die Hörer selber Geräusche verursachen, z.B. indem sie sich durch den Raum bewegen, und ihre Schritte sich mit den Klängen aus den Lautsprechern verbinden, fällt der künstliche, imaginäre wieder mit dem realen akustischen Raum zusammen. Spätestens jetzt wird uns die Macht der Geräusche bewusst. Zum einen sind es allein die Klänge, die mittels Stereo- und Quadrophonie räumliche Illusionen erzeugen und uns einen `Aufenthalt´ im Zuhause des Künstlers ermöglichen. Zum anderen werden wir im Bemühen, selbst jeden störenden Laut zu vermeiden, der eigenen kontinuierlichen Geräuschproduktion gewahr. Kristof Georgens lauthaftes Selbstporträt sensibilisiert so auf unaufgeregte Weise unsere (Selbst)Wahrnehmung.
¹ Voker Straebel, Rahmenlose Klänge, in: Der Tagesspiegel (Berlin), 22.Aug. 1998. Zit. nach: www.straebel.de
² Kristof Georgen, Projektskizze zu Nr. 26
aus: Kornhoff, Oliver, Home Stories zwischen Dokumentation und Fiktion, Katalog, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2006